Mit einem Schlag hat Laura ihr Zuhause verloren. Ihre kleine Fledermauswelt ist aus den Fugen geraten, aber Laura ist am Leben geblieben. Angstvoll betrachtet sie ihren Fledermauskörper, der ordentlich schmerzt. Die Flughand ist zwar verstaucht und die Flughaut ein wenig eingerissen, aber Daumenkrallen und Körper haben nichts abbekommen. Laura ist noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. „Trotzdem – nichts wie weg hier, bevor die Katze des Nachbarn auftaucht“, ist alles, was Laura in diesem Moment einfällt. Doch wohin soll sie fliegen? Auf den Dachböden der Häuser finden sich keine Mauerspalten mehr, Holzbretter und Fensterläden sieht man selten an den Gebäuden, die Keller sind alle verschlossen und die Spechthöhlen und Vogelnistkästen belegt.
Auch auf ihren vielen Ausflügen hat Laura kein einziges Schlupfloch entdecken können, das als Quartier geeignet gewesen wäre. „Aber wenigstens eine Ritze muss doch da sein, die einer kleinen Fledermaus Unterschlupf gibt“, jammert sie leise, „dabei bin ich doch wirklich ein Winzling.“ Laura ist tatsächlich nur so lang wie eine Streichholzschachtel und wiegt auch nicht mehr als drei Zuckerstückchen. Ihre Augen haben die Größe einer Pinnnadel. Nur ihre Ohren, die sind außergewöhnlich groß, beinahe so lang wie ihr ganzer Körper. Wie ein Turmfalke kann sie rüttelnd an einem Punkt in der Luft stillstehen und sogar rückwärts fliegen, um Raupen, kleine Käfer oder andere Insekten von den Blättern der Bäume und Büsche abzusammeln.
„Obwohl ich doch so nützlich bin “, denkt sie, „fürchten sich viele Menschen vor mir, einer kleinen Langohrfledermaus, die doch wirklich keinem Menschen etwas zu Leide tut.“ Nachdenklich bewegt sie ihren Kopf hin und her. „Ach, und immer dieses Geschrei, wenn ich hinter einer Gardine oder einem Fensterladen entdeckt werde“, setzt Laura das Gespräch mit sich selbst fort.
„Nur Mut“, unterbricht sie ihre Gedanken, „irgendwo wird es doch in dieser Stadt einen Platz für mich Winzling geben. Wenn ich hier noch länger sitzen bleibe, wird es auch nicht besser.“
Mit einem Ruck setzt sie sich auf, breitet ihre Flügel aus und schwingt sich in die Luft.
„Reiß dich zusammen“, schimpft sie, „und flieg nicht so wacklig durch die Gegend! Schließlich gehören wir Fledermäuse zu den besten Flugakrobaten der Welt. Nun gut, meine großen Ohren sind dabei sehr hinderlich, denn sie ragen wie Bremsfallschirme in die Luft. Aber ich komme vorwärts und bin ein Flugkünstler. “ Doch von einem Flugkünstler kann in diesem Moment nicht die Rede sein. Laura sieht eher aus wie ein zittriges Wollknäuel, mit dem der Wind sein Spiel treibt. „Oh weh,“ ruft sie heulend aus, „ich fliege ja noch langsamer als gewöhnlich. Diese verflixten Ohren haben wohl auch etwas abbekommen!"